Mittwoch, 26. September 2007

Die Kunst des Spazierens

Kein Tag an dem nicht Spazierende in die faszinierende Welt der Eremitage eintauchen und sich auf den Garten einlassen. Die Entwicklung der Kunst des Spazierens nahm etwa vor 200 Jahren ihren Anfang; Parks wurden als Landschaftsgemälde verstanden, die sich mit jedem Schritt, jeder Bewegung des Spaziergängers veränderten. Aus dieser Zeit stammen auch nachfolgende Gedanken des deutschen Schriftstellers Jean Paul über vier unterschiedliche Typen - "Kasten -von Spaziergängern, die er in seinem Romanfragment Die unsichtbare Loge beschreibt.

Jean-Paul-Die-unsichtbare-Loge-1793
Jean Paul, Die unsichtbare Loge, 1793

Da ich so ruhig bin und nicht spazieren gehen mag: so will ich über das Spazierengehen, das so oft in meinem Werke vorkommt, nicht ohne Scharfsinn reden. Ein Mann von Verstand und Logik würde meines Bedünkens alle Spazierer, wie die Ostindier, in vier Kasten zerwerfen.

In der I. Kaste laufen die jämmerlichsten, die es aus Eitelkeit und Mode tun und entweder ihr Gefühl oder ihre Kleidung oder ihren Gang zeigen wollen.

In der II. Kaste rennen die Gelehrten und Fetten, um sich eine Motion zu machen, und weniger, um zu genießen, als um zu verdauen, was sie schon genossen habe; in dieses passive unschuldige Fach sind auch die zu werfen, die es tun ohne Ursache und ohne Genuß, oder als Begleiter, oder aus einem tierischen Wohlbehagen am schönen Wetter.

Die III. Kaste nehmen diejenigen ein, in deren Kopfe die Augen des Landschaftmalers stehen, in deren Herz die großen Umrisse des Weltall dringen, und die der unermeßlichen Schönheitlinie nachblicken, welche mit Efeufasern um alle Wesen fließet und welche die Sonne und den Bluttropfen und die Erbse ründet und alle Blätter und Früchte zu Zirkeln ausschneidet. - O wie wenig solcher Augen ruhen auf den Gebirgen und auf der sinkenden Sonne und auf der sinkenden Blume!

Eine IV. bessere Kaste, dächte man, könnt' es nach der dritten gar nicht geben: aber es gibt Menschen, die nicht bloß ein artistisches, sondern ein heiliges Auge auf die Schöpfung fallen lassen - die in diese blühende Welt die zweite verpflanzen und unter die Geschöpfe den Schöpfer - die unter dem Rauschen und Brausen des tausendzweigigen, dicht eingelaubten Lebensbaums niederknien und mit dem darin wehenden Genius reden wollen, da sie selber nur geregte Blätter daran sind - die den tiefen Tempel der Natur nicht als eine Villa voll Gemälde und Statuen, sondern als eine heilige Stätte der Andacht brauchen - kurz, die nicht bloß mit dem Auge, sondern auch mit dem Herzen spazieren gehen....

Quelle


Jean Paul hiess eigentlich Johann Paul Friedrich Richter und nannte sich aus Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau Jean Paul. Jean Paul brach die Arbeiten an dem Fragment ab und widmete sich Hesperus oder 45 Hundposttage, einem neuen Roman, der 1795 erschien. Das Buch, das zum grössten literarischen Erfolg seit Goethes Die Leiden des jungen Werthers wurde, machte Jean Paul schlagartig berühmt.

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