Interview mit Vanja Hug
Die Felsformationen aus Jurakalk wirkten auf den Besucher des 18. Jahrhunderts "chinesisch"; bizarr geformte Felsen gelten in der Chinesischen Gartenanlage als Sinnbild der Berge. In der neueren Literatur (Heyer) wird die Eremitage aufgrund der speziellen Topografie und geologischen Beschaffenheit dem Typus der "Felsengärten" zugeordnet.
Die Verfasserin des umfangreichen wissenschafltichen Werkes über die Eremitage, Frau Dr. Vanja Hug, hat dem Wanderer Fragen zur Eremitage beantwortet:
Bildquelle
Wanderer von Arlesheim: Ihr Werk „Die Eremitage in Arlesheim“ trägt den Untertitel „Ein Englisch-Chinesischer Landschaftsgarten der Spätaufklärung“. Können Sie ein Beispiel auf dem Rundgang nennen, das dem Besucher den chinesischen Einfluss bzw. die chinesische Gartenidee besonders deutlich illustriert?
Vanja Hug: Ganz einfach: Die bizarren, asymmetrischen Felsen aus Jurakalk. Diese wirkten in den Augen der Besucher des 18. Jahrhunderts „chinesisch“. Das „Chinesische“ musste also bei der Eremitage gar nicht erschaffen werden, sondern sie war schon von Natur aus „chinesisch“. Siehe dazu Kapitel 4.2.8., Seiten 185 – 186 in meinem Buch.
Natürlich deutete auch der verschwundene Parasol chinois (Kapitel 4.3.12.) auf die Inspiration durch China.
Generell wurde die Variante des Englischen Landschaftsgartens, die man auf dem europäischen Festland übernahm und die durch zahlreiche unterschiedliche Staffagebauten gekennzeichnet war, als „englisch-chinesisch“ bezeichnet. Manche Theoretiker sprachen den Engländern den Anspruch, die neue Gartenform „erfunden“ zu haben, ab und wiesen darauf hin, dass die sogenannten Englischen Gärten nichts anderes seien als eine Imitation der Chinesischen Gärten. So gesehen ist also jeder Landschaftsgarten „chinesisch“, nicht nur die Eremitage (Seite 37, Anm. 300).
Gibt es auf dem Rundgang ein Monument, in dem der Gedanke der Aufklärung und seinem mit dem Freiheitsgedanken verbundenen Naturbegriff besonders eindrücklich zu erkennen ist?
Um auf diese Frage zu antworten, muss ich sie unterteilen. Also 1.: Das Gedankengut der Aufklärung ist in so gut wie jedem Monument der Eremitage enthalten, wie ich in den einzelnen Kapiteln ausführe. 2. Spezifisch auf den Freiheitsgedanken bezogen waren in der Eremitage einerseits die Eremitenklause (wenn der Mensch sich aus dem Getümmel der Welt zurückzieht und zu sich selbst kommt, wozu er in der Natur die besten Voraussetzungen findet, ist er frei) und andererseits – mehr politisch aufgefasst – die künstliche Turmruine (Ideal des verklärten Mittelalters). 3. Die frei wachsenden und sich entfaltenden Bäume waren ein Sinnbild für Freiheit. 4. Wie ich in Kapitel 3.3. (vor allem Seiten 34, 35) darlege, war der Naturbegriff vor allem bei den frühen Landschaftsgärten eng mit dem Freiheitsgedanken verknüpft (erste Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts). Zur Zeit der Anlegung der Eremitage hatte der Landschaftsgarten schon viel von seinen ursprünglich politisch-oppositionellen Impulsen verloren. Man darf den Gehalt der ersten Landschaftsgärten um 1720 nicht unbesehen auf die Eremitage übertragen.
Eingang zur Proserpinagrotte (das Innere ist nur bei Führungen zu besichtigen); Hugs Werk enthält neue Erkenntnisse über den Lichtstrahl, der die Auferstehungsfigur im Inneren beleuchtet haben soll. Das Geheimnis des Lichtstrahls wird auf S. 335 f. von Hugs Werk gelöst.
Zu welchem Monument wurden durch Ihre Forschungsarbeit am meisten neue Erkenntnisse gewonnen?
Schwierige Frage. Vermutlich zur Proserpinagrotte/Grotte des Todes und der Auferstehung. Beispielsweise konnte ich zweifelsfrei nachweisen, dass der auf die Auferstehungsfigur fallende Lichtstrahl nicht natürlich gewesen sein kann, wie manchmal behauptet wird. (Man liest, er sei oben beim Temple rustique durch die Öffnung des Luftschachtes eingefallen. Es gibt aber mehrere Gründe, weshalb das unmöglich ist. Diese zähle ich alle in meinem Buch auf).
Auch über die geplante Vergrösserung der Eremitage, die das Gebiet des „Hohlen Fels“ und die Ruine Reichenstein ebenfalls einbeziehen sollte, habe ich neue Informationen entdeckt.
Zudem konnte ich die Entwicklung des Mühlenkomplexes – die wiederum eng mit dem Eingang beim Felsentor verknüpft ist – rekonstruieren.
Und, und, und.
Ganz wichtige Erkenntnisse aber betreffen nicht ein bestimmtes Monument, sondern den Prozess des Wiederaufbaus der Eremitage im frühen 19. Jahrhundert. Durch die Entdeckung zahlreicher bisher völlig unbekannter Briefe Heinrichs von Ligertz liess sich genau nachvollziehen, wie die Restaurierung der Eremitage vor sich ging und vor allem, weshalb sie überhaupt wiederaufgebaut wurde (was alles andere als selbstverständlich war, da die Besitzerfamilie nach der Revolution nicht mehr in Arlesheim wohnte). Auch zeigte sich, dass Conrad und Laure von Billieux – zwei bisher kaum bekannte Persönlichkeiten - ebenfalls massgeblich in den Wiederaufbau involviert waren.
Was wiederum die Eremitage vor der Revolution anbelangt (1785 – 1792), war die Erkenntnis zentral, dass eine Fülle von Persönlichkeiten an ihrer Gestaltung mitgewirkt hatten.
Und sehr wichtig ist ebenfalls die Einbettung der Anlage in ihren damaligen internationalen Kontext.
Delilledenkmal, nördlich des unteren Weihers, am Bach
Haben Sie einen persönlichen Lieblingsplatz, ein Monument oder eine Aussicht in der Eremitage, die Ihnen persönlich am besten gefallen?
Heute könnte ich keinen Lieblingsplatz mehr benennen. Aber früher, so etwa 1984/1985 sass ich sehr gerne beim Delille-Denkmal im Schatten der Bäume am plätschernden Bächlein und las Florians Schäferroman „Estelle“ (1782) oder studierte die Partitur von Beethovens Symphonie Nr. 6, „Pastorale“. Dieser Platz schien mir dafür ideal zu sein.
Sie schreiben in Ihrem Schlusswort, dass die im ursprünglich aufklärerischen Konzept der Eremitage vorhanden gewesenen geistig-seelischen Werte uns gerade heute, in einer Zeit, in der ein zunehmender Wertezerfall beklagt wird, Orientierung geben könnten. Können Sie ein Beispiel auf dem Rundgang nennen, das durch seine aktuelle Botschaft besonders auffällt?
Beispiele gäbe es viele. Lesen Sie nur z. B. die Kapitel über die Eremitenklause, die Proserpinagrotte, die Diogenesgrotte oder das Monument der Freundschaft. Aber am aktuellsten ist im Moment sicher die „Hieroglyphe“ (oder wie Sie es nennen, der Rebus) beim Tempel der Wahrheit (Seite 287):
„Unser leicht vergängliches Daseyn
Scheint uns so wichtig;
Wir streben daher unaufhörlich
Die Unbeständigkeit des eigen-
sinnigen Schicksals zu fesseln.
Unsre Eigenliebe schmeichelt uns
Mit dem Gedanken,
Dass alles, was wir um uns
Herum erblicken,
Beständig und bleibend sey;
Unsre Gedankenlosigkeit
Verleitet uns also, nach Gütern
Zu trachten,
Die -
In Augenblicken verschwinden.“
Das passt doch ausgezeichnet zur Finanzkrise, die uns mahnt, uns wieder auf das wirklich Wesentliche zu besinnen.
Der Wanderer dankt Frau Dr. Vanja Hug für ihre Antworten und schliesst sich ihrer Hoffnung an, dass ihr Werk, insbesondere auch ihre Ausführungen im Schlusswort, für künftige Restaurierungsarbeiten der Eremitage als Grundlage herangezogen wird.
wanderer - 25. Jan, 18:58