Sonntag, 29. April 2007

Zu Besuch beim Waldbruder

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In der heutigen Gessnergrotte ruhte ursprünglich eine liegende Eremitenfigur

Links oberhalb des Gartens des Eremiten befand sich ursprünglich neben einer Urne die hölzerne Figur eines Eremiten, der mit einem Wanderstab und Lederflasche in der Grotte ruhte. Als nach dem Tode von Salomon Gessner 1788 in der Grotte ein Gedenkstein für den Idyllendichter seinen Platz fand, wurde die liegende Holzpuppe entfernt.

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Die heutige Klause des Eremiten, oberhalb seines Gartens

Bereits in der ursprünglichen Gartenanlage von 1785 stand erhöht über dem Garten des Eremiten das Eremitenhaus: ein aussen mit Baumrinden verkleidetes und mit einem Schindeldach bedecktes Holzhäuschen. Zwei gekreuzte Äste formten den in einem Kreuz endenden Glockenstuhl. Vier Fenster mit Butzenscheiben erhellten den Raum, der einen in den Fels gehauenen Schrank mit Utensilien enthielt. Eine Felsspalte diente als Kochnische. Wahrscheinlich war bis mindestens 1788, solange die liegende Figur in der Grotte lag, in der Klause keine Puppe.

Die Umbenennung der Gartenanlage, die anfänglich Englischer Garten oder Solitude romantique près d’Arlesheim hiess, in Eremitage, zeugt von der Bedeutung und Beliebtheit des Eremiten und seiner Klause. Gleichzeitig ist die Namensänderung Sinnbild für den Wandel der Ideen, die dem Garten seit der Eröffnung 1785 zugrunde lagen. Die erste Anlage von 1785 hielt sich mehrheitlich an das Ideal des unverdorbenen Lebens in der unverdorbenen Natur, die im Sinne Rousseaus als geistige Universalmacht verstanden wurde. Auch die Bereicherungen nach 1785, die der modischen und (schon in der damaligen Zeit) nicht unkritisiert gebliebenen Sucht nach „Variété“ nachgaben, standen immer noch unter dem Zeichen der Naturverehrung. Erst der Wiederaufbau von 1810/1812, der zwar noch unter (dem mittlerweilen greisen) Heinrich von Ligertz, der den Garten 1785 mit seiner Cousine Balbina von Andlau zusammen errichtete, erfolgte, der aber durch die Federführung des Sohnes von Balbina, Conrad von Andlau, geprägt war, setzte neue Schwerpunkte. Im Mittelpunkt standen nun nicht mehr die Naturverehrung, sondern die mittelalterliche Ritterromantik und eine sentimentale Frömmigkeit. Mit der Zerstörung der Rokokomotive in den 1790-er Jahren verschwanden auch die geistigen Ideen, die dahinter standen, um einer mit Schwermut und Melancholie durchsetzten Stimmung im Landschaftsgarten Platz zu machen, die den Beginn der Biedermeierzeit mit ihrer Fokussierung aufs Mittelalter kennzeichneten. Der Eremit in seiner Klause war ein willkommener Anknüpfungspunkt für die Idealisierung des frommen Lebens, die den neuen Schwerpunkt der Ermitage kennzeichnete.

Die heutige Klause stammt offenbar aus der Zeit Conrads von Andlau, des Sohnes der Gartenbegründerin Balbina von Andlau, der 1810/1812 den in den Revolutionswirren der 1780-er Jahre zerstörten Garten wieder aufbaute. Die Glocke überdauerte die Revolution und trägt die Inschrift „Maria Anna Balbina Conradina von Staal zu Sultz und Bubendorf, anno 1785“.

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Der neugotische Dachreiter und die alte, erhaltene Glocke

Der Glockenstuhl bestand auch nach der Revolution aus zwei gekreuzten Ästen, er wurde nach 1840 durch den bestehenden neugotischen Dachreiter ersetzt.

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Die bunten Fensterscheiben bilden einen Kontrast zur Einfachheit der Klause. Sie stammten ursprünglich aus den Ruinen der umliegenden Schlösser und erinnern an teilweise ausgestorbene Familien, die so in der Erinnerung der Nachkommen weiterleben.

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Der Frage, was der Waldbruder liest, wurde hier nachgegangen.

Die Eremitenfigur wird dem Geistlichen M. Aubry aus dem jurassischen Le Noirmont zugeschrieben, der diese angefertigt haben soll. Ein Uhrmacher aus derselben Gegend habe die Puppe anschliessend mechanisiert.

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Heute nickt der am Tisch sitzende Eremit zum Dank, wenn Besuchende Münzen in die Schale legen, die er in seiner rechten Hand hält. Früher habe er, sobald jemand die Klause betrat, seine Lektüre auf die Knie gleiten lassen um den Eintretenden mit einem Kopfnicken zu begrüssen. Anschliessend habe er sein Buch wieder erhoben, wie wenn er die Lektüre fortsetzen wollte. Ob die heute in der Klause sitzende Figur diejenige von Pfarrer Aubry ist und die Revolution überstanden hat, oder ob der heutige Eremit aus dem 19. Jahrhundert stammt, kann nicht festgestellt werden. Ob je ein echter Eremit in der Ermitage lebte, ist historisch nicht belegt.

Die Säulizunft Arlesheim pflegt und betreut die Klause. Von April bis Oktober kann der Waldbruder jeweils sonntags besucht werden. Am Sonntag, den 29. April 2007, wurde die Klause dieses Jahr erstmals wieder fürs Publikum geöffnet. Der von der Säulizunft frisch herausgeputzte Waldbruder freut sich über Almosen. Öffnungszeiten ca. 13.30 bis 17 Uhr. Bis 14. Oktober 2007.

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Quellen:
Iselin Isaac, Notizen zum Schloss- und Hofgut Birseck, Basel, 1955
Heyer Hans-Rudolf, Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Lanschaft, Band I, Der Bezirk Arlesheim, Basel, 1969

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